Die wohl beste Ganzkörperübung, die es gibt: Kniebeugen
14 Minute(n) zum Lesen
Krafttraining
Posterior Chain
Die Kniebeuge, auch als “Squat” bekannt, ist eine der wichtigsten Ganzkörperübungen im Krafttraining. Kaum eine andere Übung fordert und fördert Deine Kraft, Deine muskuläre Balance und Deine Mobilität auf eine Weise, wie es die Kniebeuge schafft.
Die Kniebeuge ist biomechanisch eine ganz natürliche Bewegung und wurde von uns allen im jüngsten Alter gelernt. Schau Dir an, wenn kleine Kinder im Sandkasten spielen und sich dazu in einen natürlichen Squat begeben, oder sei es die Kniebeuge als Ruheposition, wie es insbesondere in asiatischen Kulturkreisen oft gesehen wird.
Doch wer die Kniebeuge richtig trainieren und dabei Verletzungen und Schmerzen im Knie vermeiden möchte, der muss sich mit der Übung genauer beschäftigen. Durch häufiges Sitzen bei der Arbeit, fehlende Beugung des Knies und Mobilitätsschwächen haben viele die richtige Kniebeuge “verlernt”. Auch durch Broscience, wie “niemals die Knie vor den Fuß bringen”, oder “90° reicht!” geht die richtige Technik beim Fitness verloren.
Ich zeige Dir deswegen heute Schritt für Schritt die wichtigsten Infos zur Kniebeuge, unter anderem:
Vorab sei gesagt, dass ich, sofern ich es nicht genauer definiere, mich in meinem Artikel hauptsächlich auf die Kniebeuge mit einer Langhantel beziehe.
💡 In meinem Fitness-Podcast habe ich einige informative Episoden zur Kniebeuge, darunter
Episode #17: Knieschmerzen
Episode #37: Kniedominante Übungen: Squat, Split Squat, Leg Curl
Episode #91: Knie über die Fußspitzen - schädlich oder gesund?
Ich gebe Dir jetzt vorab meine 5 zentralen Thesen für eine korrekte Kniebeuge. Dies beantworten zugleich die häufigsten Fragen meiner Personal Training Kunden. Danach erkläre ich Dir jede einzelne These im Detail.
Lass mich nun die Punkte Schritt für Schritt genauer erläutern.
Die Kniebeuge ist eine Übung, mit der Du die volle Beugung des Kniegelenks und die nahezu vollständige Beugung des Hüft- und des Sprunggelenks erzielst.
Kurz gefasst besteht die Übung aus dem in die Hocke gehen (exzentrische Phase), also dem Herablassen des Gewichts, bis Deine Oberschenkelrückseite Deine Waden berührt. Dies ist zugleich der tiefste Punkt. Daraufhin erfolgt das Aufrichten (konzentrische Phase) bis in die volle Standposition mit gestreckten Knien.
Das Besondere bei der (richtig ausgeführten!) Kniebeuge ist die volle Beugung des Kniegelenks. Diese Bewegung aktiviert die verfügbare Muskulatur, insbesondere den Vastus Medialis, verbessert die Mobilität und versorgt zugleich den Knorpel und das Gelenk mit Synovialflüssigkeit.
Gerne möchte ich auf einige biomechanische und technische Punkte beim Squat tiefer eingehen. Hier die Abfolge eines Squats, einmal als Video und einmal Schritt für Schritt:
Um besser zu verstehen, wie sich die Muskelbelastung bei einer Kniebeuge äußert, schauen wir uns die Ergebnisse einer Muskelstrommessung (Elektromyografie, EMG) an, die bei einem Athleten in einer Kniebeuge gemessen wird. Ein EMG misst dabei elektrische Signale, die von den Muskeln erzeugt werden. Diese elektrischen Signale werden durch feine Elektroden, die auf die Haut platziert werden, abgefangen und aufgezeichnet.
Bei der Ausführung werden folgende Muskeln insbesondere beansprucht
Beugungsgrad | Primär beanspruchter Muskel |
---|---|
Bis 65° | Musculus Biceps Femoris (Beinbeuger) |
65° - 90° | Quadrizeps, insbesondere Vastus Lateralis |
Unter 90° | Quadrizeps mit Fokus auf Vastus Medialis, Gluteus Maximus |
Diese Muskelstrommessung zeigt Dir, dass bis auf ca 65° die maximale Belastung auf den Hamstrings, also dem Musculus Biceps Femoris liegt (Beinbeuger) liegt.
Zwischen 65° und 90°, also bis parallel wird der Quadrizeps, insbesondere der Vastus Lateralis, maximal rekrutiert.
Unter 90° wird der Quadrizeps mit Fokus auf den Vastus Medialis beansprucht sowie der Gluteus Maximus.
Hier nochmal ein Schaubild:
Beanspruchte Muskeln und Muskelgruppen bei der Kniebeuge
Primär beanspruchte Muskeln:
Sekundär beanspruchte Muskeln:
Von “ass to the grass” über “Kniebeuge bis parallel reicht” bis hin zu 1/4-Squats mit zu viel Gewicht ist in Fitnessstudios alles an Weisheiten und Unweisheiten vertreten. Die Frage, wie tief man bei der Kniebeuge gehen sollte und die Frage “Knie über Zehenspitzen” sind zwei besondere. Ich möchte Dir daher neutral erklären, welchen Effekt die unterschiedlichen Ausführungen auf das Training und den Körper und Deine Beine haben.
Zuerst die Frage nach der Tiefe und der Range of Motion (Bewegungsradius).
Grundsätzlich gilt: Unterschiedliche Bewegungen führen zu unterschiedlicher Belastung auf Gelenk und Muskulatur. Eine partielle Ausführung einer Kniebeuge (Half-Squats) führt daher zu einer anderen Belastung, als ein full range of motion (voller Bewegungsradius).
Bei der korrekten Kniebeuge werden sowohl das Kniegelenk, das Hüftgelenk, als auch das Sprunggelenk vollständig rekrutiert und im fast gesamten Bewegungsradius der Gelenke ausgelastet.
Wer bei der Ausführung einer Kniebeuge auf paralleler Höhe aufhört, der beansprucht sowohl Gelenke, als auch Muskeln nur teilweise in der exzentrischen Phase. Diese Teil-Belastung führt langfristig zu einem Ungleichgewicht. Wenn Du Dir nochmals die oben angesprochene Muskelstrommessung vor Augen führst, siehst Du, dass bis auf ca 65° die maximale Belastung auf den Hamstrings, liegt. Zwischen 65° und 90°, also bis parallel, wird der Quadrizeps, insbesondere der Vastus Lateralis, maximal rekrutiert und unter 90° wird der Quadrizeps mit Fokus auf den Vastus Medialis beansprucht sowie dem Gluteus Maximus.
Um die Frage zu beantworten, wie tief man bei der Kniebeuge gehen soll, kann ich nur sagen: Bis ganz nach unten, denn ansonsten trainierst Du weder den Gluetus, noch den Vastus Medialis, der für Kniestabilität und Kniegesundheit von maßgeblicher Bedeutung ist. Dauerhaft durchgeführte Half-Squats führen zu einer Imbalance, die sich insb. durch einen zu stark ausgeprägten Vastus Lateralis und einen zu schwachen Vastus Medialis auszeichen
Schaubild: Half-Squats trainieren auch nur die Hälfte der Muskeln und können zu Imbalance und Instabilität führen
Nun zur nächsten, häufig gestellten Fragen bei der Kniebeuge:
Auch hier möchte ich Dir erklären, warum es natürlicher ist, die Knie über die Fußspitze zu bringen, und dass eine Ausführung mit zurückgehaltenen Knien eine andere Belastung auf Deine Knie, Deine Hüfte und auch deinen unteren Rücken herbeiführt.
Das wissenschaftliche Werkzeug, das wir nutzen, um diese Frage zu beantworten, ist die kinematographische Analyse - kurzgesagt: wissenschaftliche Videoanalyse eines Squats aus einer Vielzahl von Winkeln.
Eine Studie aus dem Jahr 2003 hat einen Athleten den Squat frei ausführen lassen (im Foto: A) und einmal mit einer Blockade, dass die Knie nicht über die Fußspitzen gehen können (im Foto: B). Das Resultat: Die Kniebelastung war in der Variante B geringer als im Foto A - man könnte fast sagen vorteilhaft für das Knie. Aber: Die Belastung auf das Hüftgelenk war mehr als 10 (!) mal so hoch wie in der Variante A. Was heißt das?
[2] Fry, A. C., Smith, J. C., & Schilling, B. K. (2003). Effect of knee position on hip and knee torques during the barbell squat. Journal of Strength and Conditioning Research, 17(4), 629-633.
Wenn Du mit den Knien nicht über die Füße gehst, reduziert sich zwar die Last auf Deine Kniegelenke, aber dein Hüftgelenk muss das Gewicht kompensieren - und zwar um das 10-fache. Außerdem ändert sich das “Center of Gravity”, da Dein Oberkörper sich weiter vorbeugt. Das führt zu einer höheren Belastung auf Deinen Lendenwirbeln und Deinem unteren Rücken.
Ein Squat, ohne mit den Knie nach vorne zu gehen, ist etwas schonender auf das Kniegelenk, aber geht zu extrem hoher Last auf Dein Hüftgelenk und Deinen unteren Rücken. Dies ist einer (von mehreren möglichen) Gründen, weshalb die Kniebeuge zu Schmerzen im Lendelwirbelbereich führen kann.
Außerdem ist die Range of Motion eingeschränkt, sodass Du nicht unter parallel gehen kannst (siehe die Problematik zu Half-Squats), und somit wiederum nicht den VMO trainierst.
💡 Wenn Du die wissenschaftliche Analyse dieser Teile der Kniebeuge magst, dann empfehle ich Dir hierzu:
[1] McLaughlin, T., Lardner, T., & Dillman, C. (1978). Kinetics of the parallel squat. Research Quarterly for Exercise and Sport, 49(2), 175-189.
[2] Fry, A. C., Smith, J. C., & Schilling, B. K. (2003). Effect of knee position on hip and knee torques during the barbell squat. Journal of Strength and Conditioning Research, 17(4), 629-633.
[3] List, R., Gülay, T., Stoop, M., & Lorenzetti, S. (2013). Kinematics of the trunk and the lower extremities during restricted and unrestricted squats. Journal of Strength and Conditioning Research, 27(6), 1529-1538.
Wenn Du Schmerzen im Rücken entwickelst, wenn Du Kniebeugen ausführst, hat das häufig mit einer falschen Aufrichtung zu tun. Die Schmerzen werden oft im Ischias oder im Lendenwirbel um L5 entwickelt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass am unteren Wendepunkt die Hüfte nicht gestreckt wird, Du Dich übermäßig vorbeugst und dadurch ein enormes Gewicht auf Deinem Hüftgelenk und Deinem unteren Rücken einwirkt.
Ich möchte hier kurz das Schaubild von einem Master des Krafttrainings, Mark Rippetoe, zitieren, der dieses Schaubild in seinem Buch "Starting Strength" zeigt:
Quelle: Mark Rippetoe - Starting Strength, Fig. 2-14
Im Schaubild siehst Du mittig eine korrekte Aufrichtung (Schulter und Hüfte gehen nach oben im gleichen Tempo) und rechts eine falsche Ausführung (Hüfte geht zuerst, dann erst die Schulter, was zu einer Überbelastung des Rückens und der Hüfte führt).
Zu beachten: Im Schaubild siehst Du einen low-bar squat, d.h. die Stange ist etwas tiefer auf den Schulterblättern und der Stand und Griff ist breiter. Diese Art von Powerlifting-Squat wird vor allem für maximale Kraft verwendet und ist häufig der Fokus von Rippetoe.
Das Gewicht bei der Kniebeuge hängt zum einen von der korrekten Ausführung und Technik (oben besprochen), als auch vom Tempo ab. Bevor ich auf konkrete Gewichte eingehe und worauf Du abzielen sollst (100 Kilo Kniebeuge oder doch eher 1x Körpergewicht?), möchte ich noch einen weiteren Faktor wichtigen Faktor erklären: Das Tempo bei der Kniebeuge.
Tempo im Krafttraining ist ein zentraler Aspekt für Muskelrekrutierung und Muskelwachstum. Ich nutze hier das YPSI-System mit 4 Ziffern für korrektes, messbares und nachvollziehbares Tempo. Ein Beispiel für den Squat: 4 0 1 0. Das bedeutet,
Wenn ich also von einem korrekten Squat spreche, dann rede ich von einem 1) vollen Bewegungsradius und einem 2) 4010 oder 5010-Tempo. Dies ist wichtig, ehe wir uns nun dem Gewicht bei Squats widmen.
Für einen Athleten, der einen korrekten Squat ausführt (voller Bewegungsradius mit korrektem Tempo) gibt es - je nach Periodisierung - unterschiedliche Ziele. Reden wir beispielsweise vom Ziel des Kraftaufbaus, sind zwischen 1 bis 3 Wiederholungen bei mehreren Sätzen zielführend.
Die Kniebeuge ist zugleich eine optimale Übung, um sich auszupowern, da wir nicht nur von einer hohen Muskelbelastung, sondern auch von einer hohen Belastung auf das zentrale Nervernsystem sprechen. Hier sind wiederum längere Sätze zwischen 8 bis 12 Wiederholungen ein gangbares Mittel.
Bitte beachte: Bei einem 4010 Tempo im Vergleich zum klassischen “schnell runter, schnell hoch”, was Du oft im Fitnessstudio siehst, hast Du eine viel intensivere Belastung. Ein Set mit 8 Wiederholungen sind bereits über 45 Sekunden, die Du Deine Beine und Deinen Körper belastest. Dies ist unmöglich mit dem klassischen “runter, hoch”. Wenn wir jetzt noch darauf korrigieren, dass viele von den “runter, hoch”-Squats im Studio nur Half-Squats sind, verändert sich die Belastung um das 3 bis 5-fache im Vergleich zu einem korrekten Squat.
Long-Story-Short: Volle Range of Motion und kontrollierte Ausführung werden Deinen Squat, Deine Beine und Deinen Rumpf stärker denn je machen.
Die Progression mit meinen Personal Training Kunden basiert in der Regel auf mehreren Schritten, in denen ich zuerst die Mobilität meiner Kunden aufbaue, mich daraufhin auf Disbalancen fokussiere und dann die Kniebeuge durch verschiedene Variationen Schritt für Schritt aufbauen.
In der Progression beginne ich in der Regel mit einer Mobilitätsanalyse, bei der ich mir einen Squat ohne Gewicht anschaue. Kommen meine Kunden problemlos in die Hocke, setze ich isometrische Ausfallschritte mit Kurzhanteln ein. Diese Ausfallschritte ermöglichen es, den Bewegungsradius durch Variationen wie beispielsweise Erhöhung des Vorderbeins auszureizen.
Unterstützend sind in der Progression außerdem Bulgarian Split Squats oder der Romanian Deadlift. Grund dafür ist der Zusammenhang der hinteren Kette (Posterior Chain) im Krafttraining. Schau Dir meine Serie zur Posterior Chain hier genauer an, um mehr zu erfahren.
💡 In meinem Fitness-Podcast habe ich einige informative Episoden zur Kniebeuge, darunter
Episode #17: Knieschmerzen
Episode #37: Kniedominante Übungen: Squat, Split Squat, Leg Curl
Episode #91: Knie über die Fußspitzen - schädlich oder gesund?
Hier werden wöchentlich Themen rund um Training, Ernährung und Regeneration behandelt.
Themen, die auf Erfahrungswerten meiner Arbeit als Personal Trainer und Ernährungsberater und dem Austausch mit meinen Trainingspartner*innen sowie Mentoren*innen und Kollegen*innen basieren.
Kategorien
Tags
Krafttraining Regenerationsmanagement Nahrungsergänzung Schmerzbehandlung Akupressur Prävention Rehabilitation Ernährungsberatung Mentalität Prävention Posterior Chain Anterior Chain Gesundheit Körperfett Ernaehrung MuskelaufbauDas könnte dich auch interessieren